14
März
2023
|
09:43
Europe/Amsterdam

Gestaltete Dachlandschaften

Zwei neue Mehrfamilienhäuser im Zürcher Stadtteil Wipkingen stehen wie Stadtvillen inmitten der umgebenden Zeilenbebauungen. Das Büro fiktiv Architektur hat in den fünfseitig orientierten Bauten kompakte und abwechslungsreiche Grundrisse geplant und auch die Dachgeschosse dank des Einsatzes von gaubenähnlichen Dachfensterkombinationen tageslichthell gestaltet. 

Während sich entlang der Quartiersstrassen Zeilenbebauungen winden, überrascht der zweiteilige Neubau am Griesernweg: Die Entscheidung der Architekt:innen , die beiden oberirdisch separierten Gebäudeteile fünfseitig zu planen und gegenseitig zu verdrehen, lässt Licht und Luft in alle Wohnungen. Diese sind nicht stur nach Nord- und Südfront aufgeteilt, sondern wickeln sich geschossweise um den Kern, in dem das Treppenhaus die einzelnen Etagen erschliesst. Diese sehr kompakte Bauform bringt am steilen Hang Vorteile. Das gemeinsame Untergeschoss mit Tiefgarage und der Haustechnikzentrale verbirgt sich vollständig unter dem begrünten Aussenraum. Während der vordere Teil der Erdgeschosse Wohnungen aufnimmt, ist der hangseitige Bereich für Keller- und Nebenräume genutzt. Die Treppenhäuser beanspruchen keinen Anteil an der Fassade und erhalten Tageslicht über je zwei grosse Dachfenster. 

In den Wohnungen bilden die Nebenräume und Bäder eine innere Schicht, alle Wohn- und Aufenthaltsräume hingegen ziehen sich an der Fassade entlang. Balkone oder Gartenzugänge wechseln sich bei den Wohnungen je nach Lage am Hang ab, wobei die Privatsphäre gegenüber den Nachbarn trotz eigentlicher Nähe gewahrt bleibt. Grosse Fenster erhellen die Räume, von einer vollständigen Verglasung wollte die Architektin Gabi Bernath von fiktiv Architektur aber nichts wissen. «Wir gestalten entschieden Lochfassaden, denn Grundrisse müssen möbliert werden können. Jedes Zimmer soll ein bis zwei Positionen für ein Doppelbett haben». Wichtig sei ihnen auch, dass Häuser nicht beliebig sind. «Fenster wollen wir für die Tageslichtnutzung und den gezielten Ausblick, nicht aber beliebig ganze Glasfronten am Haus». 

Mit den insgesamt 16 Wohnungen wird ein breiter Mietermarkt angesprochen – es gibt hier kleine 2.5-Zimmer-Wohnungen genauso wie grosse Familienwohnungen mit 5.5 Zimmern und ein einzelnes Studio. Das passt zum Quartier, in dem Genossenschaften stark vertreten und im städtischen Vergleich die Wohnungsmieten eher niedrig sind. Obwohl von einer privaten Bauherrschaft beauftragt, haben die Architekt:innen den Neubau deshalb auch so geplant, dass er möglichst sozial nachhaltig und quartierverträglich im Preis ist. Hochwertige Standardprodukte wie das zweischalige dunkle Klinker-Mauerwerk mit mineralischer Dämmung kamen zum Einsatz. Der Aufwand und die höheren Kosten bei der Erstellung rechnen sich, weil die Fassade lange und ohne grossen Unterhalt bestehen kann. 

In den vertikalen Achsen der Fassadenfenster befinden sich gaubenartig aufgestellte Tageslichtlösungen von Velux in der Dachfläche. Ursprünglich waren hier lediglich Dachfenster in ähnlichem Format eingeplant, doch das erwies sich baurechtlich als Problem. Der Zürcher Bauleitfaden «Dachlandschaften» sieht vor, dass Dächer als solche erkennbar bleiben, nur wenig durchbrochen sein sollen und Dachfenster keinen zu grossen Raum in der Fläche einnehmen dürfen. Die Lösung brachten bei diesem Projekt die aufgestellten Dachfenster von Velux, die als Gaube – und damit klassisches Dachelement – gelesen werden, die Innenräume überhöhen und das Dachgeschoss mit Tageslicht durchfluten. Die weiteren benötigten technischen Dachinstallationen kommen zwischen den schrägen Dachflächen auf dem mittleren Flachbereich des Daches unter. Dadurch bleibt die Dachhaut des Mehrfamilienhauses dominierend, schliesst das Gebäude ab und wird optisch nur durchbrochen statt aufgelöst. 

Im Dach wechseln sich fast unmerklich Fotovoltaik-Schindeln und herkömmliche Schindeln im selben Format ab, was die optische Einheit der Dachfläche stärkt. Entgegen der gängigen Meinung, dass Dachfenster und Fotovoltaik-Elemente stets um die begrenzte Dachfläche konkurrieren, zeigt sich im Griesernweg, dass die Kombination von beidem problemlos möglich ist. Die Velux Dachfenster sind in der geschlossenen Dachhaut präzise gesetzt und machen die Dachfläche zur vollwertigen Fassade. So passt der Gebäudeabschluss gut in das Quartier, dessen Architektur heute von Satteldächern und einzelnen Neubauten mit Attikageschossen geprägt ist. «Wir haben eine Form gesucht, mit der wir das Dach als fünfte Fassade betrachten und gestalten konnten», so die Architektin. Obwohl für das Projekt die Dachöffnungen neu interpretiert werden mussten, sind die gaubenähnlichen Dachfenster von Velux ein Standardprodukt, was wiederum dem Grundgedanken des Entwurfs entspricht. Die Fenster werden im Giebeldach innen und aussen zum Gestaltungselement und das Haus schliesst nicht einfach mit einem Attikageschoss ab, sondern mit einer gestalteten Dachfassade. 

Energie wird direkt auf dem Grundstück produziert, sowohl über die quadratischen Fotovoltaik-Schindeln auf den Hausdächern als auch im Boden über die Erdwärmepumpe. Die Anlagen erwirtschaften übers ganze Jahr gesehen den gesamten Energiebedarf des Gebäudes, wobei zu Spitzenzeiten ein Teil ins Netz eingespeist und in ertragsarmen Zeiten Energie auch aus dem Netz bezogen wird. «Einen eigenen Energiespeicher haben wir nicht eingebaut im Haus, da es noch keine zufriedenstellenden Lösungen auf dem Markt gibt», so die Architektin. «Einen Platz dafür haben wir jedoch vorgesehen». 

Der Stadtteil Wipkingen befindet sich aktuell im Umbruch, viele Privatbesitzer:innen der Wohnhäuser aus der Nachkriegszeit planen Um- oder Neubauten. Am Griesernweg ist indessen der Weg für die Zukunft bereitet. Die Nachbarschaft profitiert von den kompakten Neubauten, deren Aussenbereich zugleich Grünraum im Quartier schafft. 

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