22
Juni
2022
|
09:08
Europe/Amsterdam

Die Tageslicht-Norm: Für mehr natürliches Licht in Innenräumen und als Wegbereiter für nachhaltiges Bauen

Die europaweite Norm sorgt nicht nur für eine ausreichende Tageslichtversorgung in Gebäuden, sondern hat auch einen positiven Effekt auf nachhaltiges Bauen

Wir verbringen 90 Prozent unserer Zeit in Gebäuden1 – unabhängig davon, dass das Arbeiten von Zuhause aus in den letzten zwei Jahren zur Normalität wurde. Eine ausreichende Tageslichtversorgung in Innenräumen ist daher wichtig, um eine Verbindung nach draussen zu schaffen und um den Aufenthalt und die Nutzung des Raums möglichst angenehm und gesund zu gestalten. Die Tageslichtnorm SN EN 17037 liefert Richtwerte zur Sicherstellung einer angemessenen Tageslichtversorgung und hat dabei gleich auch noch einen positiven Nebeneffekt auf die Nachhaltigkeit eines Gebäudes. 

Tageslicht wird oft nur auf die Ermöglichung des Sehens reduziert und ist weit mehr als eine Alternative zu künstlicher Beleuchtung in Innenräumen. Es beeinflusst auch Körper und Psyche und ist damit ein wesentlicher Faktor zur Steigerung des allgemeinen Wohlbefindens. Da wir aber die meiste Zeit in Innenräumen verbringen, ist es umso wichtiger, Tageslicht bewusst in den Alltag zu integrieren. Auch der Schweizer Architekt Melk Nigg stellt sich bereits bei der Planung die Frage, was der Mensch will und was Tageslicht für diesen bewirken kann: «Der Mensch strebt nach Natur und Sonnenlicht, nach der Wahrnehmung der Jahreszeiten. Hell und Dunkel bestimmen unseren Tages- und Biorhythmus. Je mehr wir also in Innenräumen sind, desto wichtiger wird es, den ursprünglichen Bezug zur Natur zurückzugewinnen. So vermittelt Tageslicht auch Emotionen, Atmosphäre und Gefühle». 

Die Norm als Wegbereiter für nachhaltiges Bauen 
Durch das frühzeitige Einbeziehen von Tageslichtquellen beim Hausbau oder Umbau profitieren nicht nur die Nutzer, sondern auch die Umwelt. «Eigentlich müsste Tageslicht der Baustoff Nummer eins sein», sagt Daniel Tschudy, Experte für Architektur und Tageslicht bei Velux Schweiz. Denn nachhaltiges Bauen beginnt bereits bei der Ausrichtung des Hauses und die Energie der Sonne kann als natürliche Licht- und Wärmequelle genutzt werden. Ideal ist dabei eine Nord-Süd-Ausrichtung des Hauses mit grosszügigen Fensterfronten nach Süden. Grundsätzlich ist ein möglichst ganzheitlicher Ansatz in der Planung inklusive Sonnen-, Wärme- und Blendschutz dabei am sinnvollsten. «Sind das verwendete Glas, der Hitzeschutz, die Tiefe und Materialisierung der Räume gut aufeinander abgestimmt, leistet Tageslicht einen wichtigen Beitrag zur verbesserten Energieeffizienz», weiss Björn Schrader, Professor für Gebäudetechnik sowie Kunst- und Tageslicht an der Hochschule Luzern. Da an der Nordseite der Immobilie der Lichteinfall jeweils am geringsten ist, sollten sich auf dieser Seite Räume befinden, in denen man tagsüber nur wenig Zeit verbringt, etwa das Schlafzimmer. Die Tageslichtnorm SN EN 17037, welche seit drei Jahren in Kraft ist, kann somit eine wegweisende Bezugsgrösse für nachhaltiges Bauen sein.: «Die Verwendung von Tageslicht als natürliche Ressource wird im nachhaltigen Bauen in Zukunft immer wichtiger werden - die entsprechende Norm dazu ist daher nur ein logischer Schritt», unterstreicht der österreichische Architekt Juri Troy, welcher seit Jahren über den Richtwerten der Tageslichtnorm plant. 

Sicherstellung einer angemessenen Tageslichtversorgung 
Die Tageslichtnorm liefert aktualisierte und erweiterte Richtwerte zur Sicherstellung einer angemessenen Tageslichtversorgung und basiert dabei auf der tatsächlichen Belichtung des Raums. «Die Tageslichtnorm wird dem Bedürfnis nach Tageslicht von Bewohnern und Nutzern endlich gerecht», meint Daniel Tschudy. Die einzelnen Aspekte können mithilfe der Norm in die Bewertungskategorien «gering», «mittel» und «hoch» eingeordnet werden. Für eine ausreichende Tageslichtversorgung für vertikale und geneigte Fenster führt die Norm zwei Kriterien auf. Diese Vorgaben beziehen sich jeweils auf eine Fläche im Raum (Bezugsebene) in Höhe von 85 cm mit jeweils 50 cm Abstand zu den Wänden: 

  • Auf 50% der Fläche sollen mindestens 300 Lux (Beleuchtungsstärke in Lumen pro m²) während 50% der Tageslichtstunden erreicht werden.
  • Auf 95% der Fläche sollen mindestens 100 Lux während 50% der Tageslichtstunden erreicht werden.

Für horizontale Oberlichter gilt:

  • Auf 95% der Fläche sollen mindestens 300 Lux während 50% der Tageslichtstunden erreicht werden.


Damit ist aber jeweils nur die Empfehlungsstufe «gering» erreicht. Die Überprüfungen können entweder mithilfe einer Ganzjahressimulation für Erreichung der empfohlenen Beleuchtungsstärken erfolgen oder mittels eines vereinfachten Verfahrens mit dem etablierten Tageslichtquotienten stattfinden. «Im Vergleich zu der einfachen Angabe einer Mindest-Fenstergrösse ist das neue Verfahren zwar aufwändiger, dafür ist es ergebnisorientiert und zuverlässiger, um den Nutzern eines Gebäudes eine ausreichende Menge an Tageslicht zur Verfügung zu stellen», erklärt Daniel Tschudy. Da die Berechnung relativ komplex und für viele Partner im Handwerk sehr aufwändig ist, bietet Velux mit einer Faustformel zur Annäherung der ausreichenden Fensterfläche eine Hilfestellung: In den meisten Fällen führt eine Fensterfläche von 20 bis 25 Prozent der Grundfläche des Raums zur Erfüllung der Tageslicht-Norm – so die vereinfachende Ableitung aus eigenen Berechnungen in Musterräumen. 

Die Verbindung zur Natur 
Neben der Helligkeit in Innenräumen geht die Norm auch auf die Themen Aussicht, Besonnung und Blendung ein. So liefert sie für die «Sichtverbindung nach draussen» Qualitätsanforderungen, ob man den Boden, die Landschaft und/oder den Himmel beim Blick nach draussen von verschiedenen Positionen im Raum aus sieht. Zusätzlich wird die tatsächliche Versorgung eines Raums mit direktem Sonnenlicht durch die Dauer der Sonneneinstrahlung bewertet. Für den Bedarf gegen Blendung legt die Norm fest, dass Nutzer maximal 5% der Nutzungszeit der Wahrscheinlichkeit ausgesetzt sein sollen, durch Blendung gestört zu werden. 

Die europaweite Tageslichtnorm hat einen Richtwert-Charakter und spricht Empfehlungen aus, die sich positiv auf Wohn- und Nutzungsqualität sowie auf die Umwelt auswirken. Für die Wichtigkeit von Tageslicht setzen sich auch Björn Schrader und Daniel Tschudy ein. «Tageslicht ist kostenlos, steht uns unendlich zur Verfügung, ist CO2-neutral und schafft Mehrwert. Dennoch wird es noch viel zu wenig genutzt», sagt Björn Schrader. «Daher ist es unsere Aufgabe, dem Tageslicht den Stellenwert zu geben, den es verdient hat», ergänzt Daniel Tschudy. 
 

1 https://www.rand.org/pubs/research_reports/RR3122.html 

Tageslicht-Symposium für ein stärkeres Bewusstsein 
Das dritte Schweizer Tageslicht-Symposium vom 15. Juni 2022 in Basel stand unter dem Motto «Das Tageslicht braucht eine stärkere Lobby». Velux ist Veranstaltungspartner des Symposiums, das sich als Plattform für den Austausch praxis- und anwendungsrelevanter Themen zwischen Architektur Lichtplanung, Industrie und Forschung sieht. Das Symposium verschafft dem Tageslicht das nötige Gewicht in der Fachwelt und hebt dessen Bedeutung als Gestaltungselement in der Architektur hervor. Internationale Referenten aus verschiedenen Disziplinen berichteten über die Vielfältigkeit des natürlichen Lichts und vermittelten Kompetenzen und Resultate sowohl aus der Forschung, als auch aus der Praxis. 

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